Königstraße 22
Königstraße 22: Metzgerei und Bäckerei
Metzgerei und Bäckerei von 1953 bis 2015
Am Morgen des 18. März 1831 machte sich der Schustermeister Bartholomäus Sieves auf den Weg nach Schaag zum königlich preußischen Notar Johann Mathias von Sponheren, um den Kauf einer ledigen Hausstelle, eines unbebauten Grundstücks, beurkunden zu lassen. Bartholomäus wohnte zu dem Zeitpunkt im vorderen Teil des gegenüberliegenden Hauses auf der heutigen Königstraße. Vor hier aus blickte er nach Westen auf das nicht bebaute Grundstück, das es ihm angetan hatte. Auf nördlicher Seite wohnte der Landvermesser Voos, auf der anderen die verwitwete Frau Schrömbges. In Schaag besiegelte er mit dem Verkäufer, dem Ackersmann Johannes Waaßen aus Boerholz, den notariell beurkundeten Kaufvertrag für das unbebaute Grundstück in Bracht. Der Kauf war für den Schustermeister mit einem gewissen Risiko behaftet, denn der Landvermesser Voos besaß auf dem Grundstück ein eingetragenes Fahrrecht, eine Fahrgerechtigkeit, über die gesamte Breite. Der Kaufpreis betrug 50 Thaler, das Grundstück erstreckte sich bis zum Dorfgraben im Westen und maß 80 magdeburgische Ruthen, ein von dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. eingeführtes Dezimalmaß, das einer Fläche von gut 800 m² entsprach. Ob und wann Bartholomäus Sieves die ledige Hausstelle bebauen durfte, und ob er dem Landvermesser Voos eine Entschädigung für dessen entgangenes Fahrrecht zahlen mußte, ist nicht überliefert. Die Urkunde besagt lediglich, dass 20 Thaler des Kaufpreises sofort fällig waren. Diese Summe zahlte Bartholomäus Sieves 14 Tage später an Johannes Waaßen, der handschriftlich gegenzeichnete, seine Frau Allegunda malte indes nur drei Kreuzchen anstelle einer Unterschrift, sie konnte nicht schreiben. Ein Nachbar aus der Hellstraße, Christian Heesen, bezeugte diese Geldübergabe. Die Restsumme wäre in jährlichen Raten vom 1. April 1832 bis 1. April 1835 zu jeweils 7 Thalern und fünfzehn Groschen fällig gewesen. Johannes Waaßen verstarb kurz nach dem Verkauf des Grundstücks. Die Witwe Allegunda (Witfrau Waaßen) erhielt laut Urkunde noch zwei Raten zu jeweils 8 Thalern am 1. Mai 1833 und am 5. April 1834. Ob die fehlende Summe anderweitig kompensiert wurde, ist nicht überliefert. Tatsächlich wurde auf dem Grundstück ein Haus errichtet.
Drei Generationen Fleischerei Heinrich Hommen: Heinrich I. 1853-1916, Heinrich II. 1897-1933, Heinrich III. 1917-1984
Das Haus mit Grundstück erwarben dann im Jahr 1916 der Brachter Fleischer Heinrich Hommen und seine Frau Adelgunde Hügen. Es handelte sich um ein eingeschossiges Gebäude mit steilem Dach, das erheblich umgebaut und erweitert wurde. Es diente bis 1953 als Wohnhaus. Erst dann realisierte der dritte Heinrich mit seiner Frau Gertrud den Umbau zu einer Fleischerei und Metzgerei. Der Beruf des Fleischers wurde in der Familie Hommen seit 1886 drei Generationen lang ausgeübt. Alle Metzgereien befanden sich auf der Königstraße.
Abbildung 1: Gertrud Hommen in der Metzgerei zwischen 1953 und 1962
Von 1948 bis 1953 arbeiteten in Bracht bereits acht Metzgereien als familiengeführte Betriebe. Kapitaldeckung und Erträge variierten stark über die Jahrzehnte. Eine Metzgerei konnte in guten Geschäftsjahren bis zu 12.000 DM (Deutsche Mark, Zahlungsmittel der BRD seit der Währungsreform 21. Juni 1948 bis 01. Januar 2002) erwirtschaften. Meist blieben die Erträge aller Brachter Metzgereien aber weit darunter. An die Brachter Metzgereien erinnert auch die Brachter Hausgeschichte Die Fellischs in der Marktstraße. Während dieser Jahre boomten über 50 kleine Familienbetriebe in der Brachter Ortsmitte. Nur eins hat den Strukturwandel überlebt. In dem Heimatfilm Bracht aus dem Jahr 1957, der von den Brachter Heimatfreunden und Willy Hauser in einem unveröffentlichten Manuskript aufgearbeitet wurde, wird dieses rege Geschäftsleben dokumentiert. Schon 1963 lohnte es sich für Heinrich Hommen, die Metzgerei zu modernisieren und ein Lebensmittelsortiment zu ergänzen. Im Ladengeschäft arbeiteten seine Frau Gertrud und die Töchter Elfriede und Adele. 1982 erfolgte ein weiterer Umbau, nachdem der Bäckermeister Hans Leven die Tochter Adele geheiratet hatte. Die Familie Leven war bereits 1823 in Bracht nachgewiesen. Generationenlang übten die männlichen Mitglieder den Beruf des Maurers aus. Hans Leven war der erste Bäcker. An Silvester 1982 schlachtete Heinrich Hommen zum letztenmal. Ein moderner Stahlbackofen hielt Einzug im rückwärtigen Wirtschaftstrakt. Hinzu kamen die Maschinen, die Teig kneteten, Teigstücke zu Brötchen formten und Cremes anrührten.
Abbildung 9-11: Produkte des Bäckerhandwerks im dörflichen Kleinstbetrieb alle Bilddateien: Privatbesitz Familie Leven
Abbildung 9-11: Produkte des Bäckerhandwerks im dörflichen Kleinstbetrieb alle Bilddateien: Privatbesitz Familie Leven
Insgesamt 33 Jahre bis zum 12. September 2015 führte Familie Leven die Bäckerei und Konditorei als Familienbetrieb in der Brachter Ortsmitte.
Hans Leven war über Bracht hinaus für seine selbst hergestellten Pralinen und Konditortorten bekannt.
Quellennachweis:
KAV, Gemeindearchiv Bracht, Nr. 1996, fol 12, Gewerbesteuerlisten 1948-1960 Interview mit Adele und Hans Leven am 24.02.15, 06.03.20, Bracht. der Brachter Heimatforscher Hans Wolters fertigte für die Eheleute Leven eine Abschrift der 1831 notariell beglaubigten Kaufurkunde an, Privatbesitz Familie Leven Unveröffentlichtes Manuskript der Heimatfreunde Bracht, Bearbeitung des Heimatfilms Bracht
Bracht 2020
Anna Freier
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